Wannabe

Winterthur | ArtRegion: Bodensee, Zürich

CoalMine

Romain Mader / Jenny Rova: Wannabe

15. April – 1. Juli 2016

In die Haut eines andern schlüpfen, besser dastehen, über sich hinauswachsen: Wer träumt nicht gelegentlich davon? Die Ausstellung WANNABE führt mit Romain Mader und Jenny Rova zwei Schweizer Kunstschaffende zusammen, die aus realen Fotografien fiktionale Erzählstränge knüpfen. In neue Zusammenhänge gerückt, erheben ihre Werke vordergründig einen Wahrheitsanspruch. Mal subtil, mal offensichtlich inszeniert, verstehen sie sich als augenzwinkernde Kritik an den Konventionen des Dokumentarischen, aber auch an der Zurschaustellung und Fiktionalisierung des virtuellen Selbst in den sozialen Medien.

Entgegen ihrem vermeintlichen Wirklichkeitsversprechen bietet die Fotografie seit jeher auch Hand für inszenatorische Kunstgriffe und manipulative Tricks: Sie ist kein rein objektives Dokument – «so ist es gewesen», nach Roland Barthes –, sondern eine konstruierte Situation des Möglichen. Augenscheinlich wird dies nicht nur in der Werbefotografie, die per definitionem idealisierte Bilder schafft, sondern auch im Gebrauch der Bilder in den sozialen Medien: In ihnen verdichten sich Wirklichkeitsfragmente zu Inszenierungen des Selbst, deren Zweckbestimmung Vergemeinschaftung, Shares und Likes sind. Über zahlreiche Foto- und Videoportale, soziale Netzwerke sowie Messenger-Dienste sind heute Milliarden von Menschen in virtuelle Kommunikationsräume eingebunden.

Welche Dynamiken diese Kommunikationsräume beherrschen, untersuchen die Künstler dieser Ausstellung in experimentellen, teils waghalsigen Selbstversuchen. In ihrer Arbeit «I Would Also Like To Be» spioniert Jenny Rova (*1972 in Uppsala, lebt seit 2001 in Zürich) ihrem Exfreund nach. Sie lädt sämtliche Bilder von seiner Facebook-Seite herunter, die ihn mit der neuen Partnerin zeigen – auf dem Elefantenrücken in Thailand, am Flughafen in Venedig, beim Yoga oder zuhause auf dem Balkon. Mit der Schere ersetzt die Künstlerin das Gesicht der Neuen durch ihr eigenes, posiert im selben Licht und derselben Körperhaltung. Bissige Kommentare ergänzen die Sammlung der augenscheinlich manipulierten Bilder: «Ich glaube, die meisten Leute finden, dass ich besser aussehe als sie».

Auf diese Weise erträumt sich Jenny Rova das Leben einer Fremden und löscht deren Präsenz gleichermassen aus. Was sich wie das eifersüchtige Fehlverhalten einer Stalkerin liest, ist in Wahrheit ein nachdenklicher Kommentar auf die allgegenwärtige Verfügbarkeit des Privaten im Internet. Es ist heute ein Leichtes, sich aus realen Versatzstücken eine neue Identität zu bauen, am Leben anderer teilzuhaben und in Ersatzwelten einzutauchen. Für die Präsentation wählt Rova die Form eines Erinnerungsalbums, in dem die Ausstellungsbesucher ungehindert stöbern und blättern können. Dabei dringen auch sie in die Privatsphäre der Künstlerin ein, so wie diese zuvor in die Privatsphäre ihres Exfreunds – ein mulmiges, ambivalentes Gefühl, in dem sich Neugier und Scham verbinden.

Bilder, die falsche Sachverhalte vortäuschen: Daraus knüpft auch Romain Mader (*1988 in Ollon, lebt seit 2015 in Zürich) eigenwillige Geschichten. Geschützt durch einen naiven Diskurs und eine populäre, dilettantische Ästhetik, macht er sich selber zum Protagonisten seiner Fotografien, Filme und Texte. In der Werkserie «Ekaterina» begibt er sich auf die Suche nach erotischen Erlebnissen in die Ukraine. Der Künstler reist zuerst nach Kiew, wo er von einer Stadt vernimmt, die einzig von Frauen bevölkert ist. Auf seiner Reise dorthin dokumentiert er seine Eroberungen und Beobachtungen. Doch obwohl sich Mader oft selbst mit ins Bild rückt, bleiben Zweifel an der Wahrhaftigkeit seiner Erzählung. Der Künstler agiert als Performer – als Kunstperson, die bis zur Untrennbarkeit mit dem eigenen Selbst verschmilzt.

Konsequent an der Grenze zwischen Realität und Fiktion bewegen sich auch seine weiteren Werkserien: In «De nouveaux amis» setzt sich Romain Mader zu wildfremden Menschen am Strand und bittet sie um ein gemeinsames Foto. Die Bilder lassen ihn als Teil der Gruppe erscheinen, deren Körperhaltung – mal sitzend, mal liegend, mal eine Sandburg bauend – er imitiert. In «Moi avec les filles» stellt sich der Künstler unbeirrt neben Hostessen am Genfer Autosalon für ein gemeinsames Selfie. Und in «The Girlfriend Experience» lässt er uns an seinen Erfolgen beim anderen Geschlecht teilhaben, zu denen ihm die Tipps eines Flirt-Coachs verhelfen. Zwangsläufig stellt sich die Frage, in wieweit den Bildern Glauben zu schenken ist, die uns im Reality TV und in den sozialen Medien erreichen.

Es ist das soziale Kapital, das im Mittelpunkt der künstlerischen Arbeit von Romain Mader steht. Dieses lässt sich steigern durch die Nähe zu den Schönen, Erfolgreichen und Prominenten, durch exotische Orte und die Teilhabe am Exklusiven. Maders Schaffen spiegelt dies in unmittelbarer Weise: In zeittypischer Manier richtet er sich in seinen Fotografien und Filmen direkt an sein Publikum, blickt in die Kamera, ringt um Beachtung und Bestätigung, Shares, Likes und Kommentare. Ein auffälliges Moment seines künstlerisch-methodischen Vorgehens ist der Humor und die Ironie. Nicht anders als in den populären Realityshow-Formaten bedauert man bisweilen die Hilflosigkeit des Protagonisten, durchschaut seine Selbstinszenierung und verfolgt beschämt, wie er dabei zu scheitern droht.

Die Ausstellung wird kuratiert von Sascha Renner.


Öffnungszeiten

Mo, Di 9-17
Mi-Sa 10-20

CoalMine
Turnerstrasse 1
8400 Winterthur