Die Dada. Wie Frauen Dada prägten – eine Buchrezension

DIE DADA, Buchrezension Artagenda, Foto: Michelle Braendle, 2021

Michelle Brändle | 20. März 2021

Die Dada. Wie Frauen Dada prägten – eine Buchrezension

Mit der 1916 in Zürich geborenen Kunstbewegung DADA werden gemeinhin vor allem männliche Exponenten konnotiert: Hugo Ball, Tristan Tsara, Hans Arp und weitere. Das Projekt von Ina Boesch hat sich zum Ziel gesetzt, den Fokus auf die Frauen im Dada-Umfeld zu richten und ihren Anteil an der Entstehung und Entwicklung der Bewegung zu würdigen.

Im ersten Teil, der umfangmässig gut die Hälfte des Buches ausmacht, stellt Ina Boesch selbst einige weibliche Positionen aus der Dada-Welt vor. Kleine Kurzbiografien stehen jeweils an den Seitenrändern. Mit Emmy Hennings, Musidora, Clara Tice, Beatrice Wood und Jane Heap – um nur einige zu nennen – deckt Boesch die Dada-Damenwelt von Bekannt bis Unbekannt ab. Von Tänzerinnen über Verlegerinnen bis zu Modellen und Musen, geht sie auf die einzelnen Frauen in den unterschiedlichen Kategorien ein und zeigt damit die Kunstbewegung von der weiblichen Seite – so verspricht uns die Autorin. Schauen wir uns Aufbau und Inhalt also etwas genauer an.

Emmy Hennings wird als erste Dame eingeführt, und zwar im Zusammenhang mit Hugo Ball. Boesch erläutert, wie das Cabaret Voltaire in Zürich entstand und wie es sich gewandelt hat. Hennings hatte dabei aktiv mitgewirkt, gesungen, getanzt und gedichtet. Auch die anderen Dadaistinnen – aber immer wieder auch die Dadaisten – werden hier von allen Seiten beleuchtet. Dabei wird stets versucht, die Grenzenlosigkeit der dadaistischen Künstler*innen aufzuzeigen und wie sie die Kunstwelt auf den Kopf gestellt haben. Hier werden stets Vergleiche angestellt, wie Frauen und Männer die Themen verarbeiteten, aus welchen Künstlerbereichen sie stammten und in welchen Beziehungen die Künstler*innen auch jeweils zueinander standen.

Die Akzeptanz der Frauen in den dadaistischen Kreisen ist ebenfalls nur teilweise vorhanden. War Emmy Hennings beispielsweise zu Beginn noch unverzichtbar, erinnern sich Richter oder Hülsenbeck in den 1960er Jahren nur noch an ihre kindliche Art und das gepuderte Gesicht – und keineswegs an die moderne, unabhängige Frau. Fragte man die beteiligten Frauen selbst, stellen sie sich rückblickend tatsächlich ebenfalls in die zweite Reihe. Damit haben die Männer also immer noch das letzte Wort, wer zu den Dadaist*innen gehörte und wer nicht. Die Dadaistinnen stellten sich aber nicht nur wörtlich hinter die Männer, sie haben sie tatsächlich von dort tatkräftig unterstützt. Emmy Hennigs hat beispielsweise Hugo Balls Nachlass verwaltet, statt ihren eigenen Arbeiten nachzugehen.

DIE DADA, Buchrezension Artagenda, Foto: Michelle Braendle, 2021

Während in Zürich die Dada-Szene eher von den Männern bespielt wird, richtet sich der Blick weiter in Richtung Vereinigte Staaten. Auch hier gibt es nennenswerte Künstlerinnen und, wie sollte es anders sein, scheinen die Männer, beispielsweise mit Marcel Duchamp, trotzdem die Überhand zu haben. Werfen wir einen Blick hinter die Kulissen. Mina Loy wird nämlich vor allem als Frau vorgestellt, die sich endlich dagegen wehrt. Sie setzt mit ihrem Feminist Manifesto ein Zeichen. Sie will, dass Frauen ihre eigenen Werte und Rechte finden. Das klingt doch nach einem Pluspunkt für die Frauen. Doch dieses Manifest scheint eine Rarität. Die anderen Manifeste werden stets den Männern zugeschrieben.

Das ist zwar nur ein kleines Kapitel, auf den weiteren Seiten des Buches wird aber schnell klar, wo die Schwierigkeiten für die Frauen zum Eintritt in die Kunstwelt lagen – nämlich bereits an der Eingangstür: Kunstakademien waren für sie nur teilweise bis gar nicht zugänglich. Unter den Dadaistinnen gab es deshalb immer wieder laute Stimmen, die sich dagegen wehren wollten. Dafür war die dadaistische Bewegung schliesslich perfekt geeignet, da sie die Gesamtheit der bürgerlichen Normen und Werte in Frage stellten. Die Frauenwelt nutzte hierfür etwas, zu dem nur sie Zugang hatten: ihren eigenen Körper. Ob es dabei um das Spiel mit Geschlechterrollen ging, humorvolle Bilder gemalt wurden oder frau sich demonstrativ die Haare kurz schnitt: der Frauenkörper war ein kreatives Ausdrucksmittel und eine dankbare Leinwand für Statements. Ina Boesch zählt hier noch weitere Ausdrucksmittel der Frauen auf, vom musikalischen Piano über den körperbetonten Tanz bis zur wortreichen Variante mit selbst verlegten Schriften.

Wie auch immer die Männer und Frauen miteinander verstrickt waren, der erste Teil des Buches zeigt die wichtigsten Aspekte auf. Wichtig bleibt die Tatsache, wo auch immer die Männer Geschichte schrieben, auch die Frauen ihre Finger im Spiel hatten. Sei es als organisatorische Talente mit grossen Netzwerken, als Finanzquelle oder als Modelle und Musen.

Im zweiten Teil des Buches porträtieren weitere Autor*innen jeweils einzelne Dadaistinnen im Speziellen. Dabei wird hervorgehoben, wie die Künstlerinnen meist sogar vor den Männern wichtige Ideen realisierten und Grundbausteine legten. Hier wird allerdings noch einmal klar, wie die Männer die ganzen Früchte ernten, das letzte Wort haben und die Frauen nur durch sie letztendlich überhaupt ihre Erwähnungen gefunden haben.

DIE DADA, Buchrezension Artagenda, Foto: Michelle Braendle, 2021

Mit diesen kurzen Aufsätzen über die weiblichen Figuren der Dada-Bewegung endet das Buch auch, und frau wird etwas verwirrt zurückgelassen. Verwirrt hauptsächlich darüber, dass das Versprechen nicht wirklich eingehalten wurde, die Dadaistinnen explizit hervorzuheben und zu porträtieren. Das wurde zwar gemacht, aber den Männern wird dabei viel zu viel Platz eingeräumt. Es reflektiert die Tatsache, dass es für die Frauen enorm schwierig war, sich in der Kunstwelt durchzusetzen. Schlussendlich haben sie sich dabei selbst aus dem Spiel genommen. Das widerspricht der Dada-Bewegung in höchstem Masse: Gesellschaft und Normen werden doch verpönt, man will sich völlig neu erfinden und doch sind wohl diverse Punkte noch zu stark verankert. Allem voran die Rolle der Frau.

Spätestens dieses Buch wollte dieses «an den Rand rücken der Frau» ändern. Die Ansätze sind gut, doch ist es dennoch zum Scheitern verurteilt. Weshalb ist das so? Die Antwort liegt in der Sache selbst. Die Frauen werden immer in Beziehung zu den Männern gezeigt. Damit sind sie aber niemals die Protagonistinnen, eher die Anhängselinnen. Umgekehrt erklärt: wird von einem Dadaisten wie Marcel Duchamp gesprochen, kommt man kaum auf die Idee, im gleichen Atemzug seine Schwester zu erwähnen, und Hans Arp wird ebenfalls nicht in jedem Kontext mit Sophie Taeuber assoziiert. Umgekehrt wird beides gemacht, und genau hier spiegelt sich die Zeit wider: die Dadaistinnen mussten sich an ihre Männer klammern, um Erwähnung zu finden. Damit kommt man zum Ursprungsproblem zurück. Man kann die Frauen nicht in den Mittelpunkt rücken, wenn sie sich selbst stets hintenanstellen. Und deshalb fehlt es letztlich auch an Quellenmaterial: nicht nur die Männer erinnern sich nicht an die weiblichen Seiten, sondern auch die Frauen selber sind sich ihrer Rolle noch nicht bewusst gewesen.

Das Buch selbst führt strukturell über einen etwas holprigen, keineswegs geradlinigen Pfad. Durch die starke Vernetzung der verschiedenen Protagonist*innen im Buch wiederholt sich zudem einiges, man verliert etwas den roten Faden. Auch die kleinen Kurzbiografien am Rand der Seiten fügen sich nicht optimal ein und man übersieht sie wahrscheinlich so schnell, wie die jeweils vorgestellten Frauen zeitlebens übersehen wurden. Wird man sich all dieser inhaltlichen und strukturellen Schwachstellen bewusst, führt der Pfad auf eine ziemlich robuste Strasse. Jetzt und heute, wo die Frauen angefangen haben, aus sich selbst herauszutreten, kann man sie für sich betrachten und die künftige Geschichte in eine tatsächlich unabhängig weibliche Richtung lenken. Die Frauen können sich damit in ihrem eigenen Raum entfalten und ihre eigene Geschichte schreiben.

Gesamthaft unterhaltsam, kurzweilig und erfrischend – auf knapp 160 Seiten – zeigt das Buch die noch sehr zurückhaltende Denk- und Verhaltensweise der Dadaistinnen und dass wir heute schon ein ganzes Stück vorangekommen sind. Weiter so, meine Damen!

DIE DADA. Wie Frauen Dada prägten, Ina Boesch (Hg.),
Zürich: Scheidegger & Spiess 2015. 164 Seiten
ISBN: 978-3-85881-453-1