Warth | ArtRegion: Bodensee, Zürich

Kunstmuseum Thurgau

Hinter Mauern

Fotografie in psychiatrischen Einrichtungen von 1880 bis 1935

2. Oktober 2022 – 16. April 2023

Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts übernahmen Psychiater die Fotografie als Bildmedium, weil sie glaubten, dass sie das, was sich vor der Linse befand, getreu abbilden konnte. Dies hat dazu geführt, dass viele Kliniken eine umfangreiche Sammlung von Glasdias, fotografischen Abzügen und Fotoalben aufbewahrt haben, die noch nie zuvor untersucht worden sind. Diese Dias wurden in Diavorträgen verwendet, und einige Bilder wurden in der Fachliteratur veröffentlicht.

Die Idee, dass eine „Geisteskrankheit“ an äußeren Merkmalen zu erkennen sei, wurde um die Jahrhundertwende breit diskutiert. Heute ist eher die fotografische Situation erkennbar und die Rolle, die die Fotografie damals in der Diagnostik spielte. Diese Fotografien wurden oft ohne die Zustimmung der Betroffenen aufgenommen, es waren also „gestohlene“ Bilder.
Die Kliniken ließen professionelle Aufnahmen machen, um ein selbstbewusstes Bild des Lebens in ihren Einrichtungen zu zeichnen, das sich in der Regel „hinter Mauern“ abspielte. Diese Aufnahmen zeigten saubere und helle Innenräume, gepflegte Parkanlagen und arbeitende Patienten, aber auch bescheidene Vergnügungen wie Tänze, Jahrmärkte, Zirkusse oder Theateraufführungen, die eine Abwechslung zum eintönigen Leben boten. So organisierte Hermann Rorschach mit grossem Enthusiasmus solche Veranstaltungen in Münsterlingen und Herisau, während Marie von Ries-Imchanitzky, Assistenzärztin auf der Waldau bei Bern, sich und ihre Abteilung sowie die Kunstwerke von Adolf Wölfli fotografierte.
Gleichzeitig demonstrieren die Bildkonvolute eine Verhandlung der Grenzen der Normalität, und es ist wichtig, sie zu bewahren und auszustellen, da sie einen Speicher von Informationen darstellen: über die Psychiatrie der damaligen Zeit, darüber, wie die Wissenschaft das neue visuelle Medium einsetzte – und wie instabil dieses Wissen war und bis heute ist. Die Aufzeichnungen sind ein Instrument der Ein- und Ausgrenzung. Das Display bietet eine Möglichkeit, mit diesen Mechanismen zu interagieren.