Horizontal Cinema

Berlin | ArtRegion: Kreuzberg

carlier | gebauer

Nida Sinnokrot: Horizontal Cinema

26. November 2022 – 18. Januar 2023

In der zweiten Einzelausstellung der palästinensisch-amerikanischen Künstlerin Nida Sinnokrot bei carlier | gebauer in Berlin steht die interaktive 16mm-Filminstallation „When Her Eyes Lifted“ (2016) im Mittelpunkt.

Sinnokrot hat einen einzigartigen kinematografischen Apparat namens „Horizontal Cinema“ entwickelt, der aus drei modifizierten Projektoren besteht, die in einem Halbkreis auf einer Holzkiste angeordnet sind, die auf einem Teppich in der Mitte des Raumes liegt. Die drei Meter lange Filmrolle wird nicht vertikal, sondern horizontal projiziert, was durch die am oberen und unteren Rand sichtbaren Perforationen noch unterstrichen wird.
Mit diesem innovativen Ansatz zeigt Sinnokrot das Potenzial des Films auf neue und unerwartete Weise. Da die Projektoren keinen Verschluss haben, wird jedes Einzelbild des Films eingefroren und auf drei separate Leinwände projiziert, wodurch ein fragmentiertes Bild entsteht. Trotz der horizontalen Projektion erscheint das Bild aufrecht, da die Kamera während des Drehs um 90 Grad gedreht wurde. Man sieht eine Frau, die an einer Kette zieht, um ein schweres industrielles Rolltor zu öffnen, begleitet vom Rattern der Motoren und der Filmrolle, die durch die Projektoren läuft, was zu einer schrittweisen Abfolge von Bildern führt, ähnlich wie bei Muybridges frühen Bewegungsstudien. Wenn sich Menschen im Raum bewegen, erkennen Sensoren die Bewegung und erhöhen die Abspielgeschwindigkeit, so dass ein maschinengewehrähnliches Stakkato entsteht, das erst abklingt, wenn der Raum wieder still ist. Die Tür – der Verschluss – wird wiederholt geöffnet, so dass der Film in einer Schleife läuft, und die Kratzer, die sich auf der Oberfläche des Films bilden, führen dazu, dass sich das Bild allmählich auflöst. Eine Sisyphusarbeit, die kein Ende nehmen will.

Mahmoud Sinnokrots Biografie offenbart den gewalttätigen Hintergrund seiner technischen Operationen, die die Fragmentierung und den langsamen Verfall eines Apparats zum Gegenstand haben. In Algerien aufgewachsen, in den USA studiert und jetzt in Ost-Jerusalem lebend, hat Sinnokrot selbst Vertreibung, Entwurzelung und Fragmentierung erlebt; diese Themen spiegeln sich in seinen Werken wider. Sinnokrot beschränkt sich nicht darauf, Gewalt abzubilden, sondern ist daran interessiert, deren strukturelle Mechanismen, materielle Realität und mediale Wahrnehmung aufzudecken. Seine 2014 in der Galerie gezeigte Ausstellung Jonah’s „Whale“ konzentrierte sich auf die Segmentierung eines Baucontainers im Westjordanland, wodurch eine optische Zergliederung der durch ihn gesehenen Landschaft in Einzelbilder entstand.

„When Her Eyes Lifted“ ist eine immersive, physische Erfahrung, die sich auf die Maschinerie und den sie begleitenden Sound konzentriert. Es unterstreicht unsere Handlungsfähigkeit, Macht und Ohnmacht als Betrachtende, da wir die Geschwindigkeit des Films kontrollieren können, unsere Präsenz jedoch durch die Anwesenheit anderer begrenzt ist. Die Abfolge von flüchtigen Bildern, die im Laufe des Films immer heller werden, ist irritierend, so als ob eines in das andere stolpert. Drei zeitliche Ebenen des Films spielen sich gleichzeitig vor unseren Augen ab, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschmelzen zu einer. Edward Saids kontrapunktisches Bewusstsein kann in dieser gespaltenen Schleife gesehen werden, da wir sowohl die Kontrolle über die simultanen Filme haben als auch verlieren, wobei jede Bewegung zu den Kratzern in ihrer Oberfläche beiträgt.

Die ruckartige Abfolge ephemerer Bilder, die im Laufe des Films heller werden, und die drei zeitlichen Ebenen, die sich gleichzeitig abspielen, erinnern an Edward Saids „kontrapunktisches Bewusstsein“ – eine gleichzeitige Wahrnehmung multipler Perspektiven und Chronologien.
„Horizontal Cinema“ dekonstruiert die filmische Illusion und enthüllt gleichzeitig die transformative Beziehung zwischen Betrachtende und Zelluloid und ermöglicht so eine gründliche, aber flüchtige Erkundung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die ineinander übergehen. Folglich dient diese geteilte Schleife als mächtiges Werkzeug, um die Welt in ihrer Dynamik und Komplexität zu begreifen.


Öffnungszeiten

Di-Sa: 11-18

carlier | gebauer
Markgrafenstraße 67
10969 Berlin