Moos oder eine Studie über zerebrale Abgründe, die durch das Leben unter borealen Bedingungen verursacht werden

Berlin | ArtRegion: Berlin, Mitte
Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz
Moos oder eine Studie über zerebrale Abgründe, die durch das Leben unter borealen Bedingungen verursacht werden
20. Oktober 2021 – 28. Januar 2022
Aus Unkenntnis, hedonistischem Desinteresse oder im Zuge der Verdrängung der eigenen Mitverantwortung nehmen wir den drastischen Kahlschlag der Arten und Spezies gar nicht wahr. Die Systemökologie hat die Zusammenhänge, die dazu führen, längst geklärt, dennoch dominiert abseits der Biologie noch heute die Vorstellung von der Natur als harmonischem System, in das sich der Mensch mit etwas gutem Willen einordnen kann.Unzweifelhaft ist das Anthropozän noch nicht im Kopf angekommen. Natur ist dort zu tief als Metapher eingeschrieben. Was ihr nicht entspricht, genießt kaum Aufmerksamkeit. So verändert sich der globale Norden, aus dem das schmelzende Eis und der zusätzliche Regen kommen, die in absehbarer Zukunft erst das Bikini-Atoll und dann Amsterdam untergehen lassen, nahezu unbemerkt. Tatsächlich ist die Landschaft dort relativ artenarm und erholt sich daher im Vergleich zu anderen Vegetationen ungleich langsamer von menschlichen Eingriffen und Umweltkatastrophen. Dennoch spekulieren nicht wenige unverdrossen mit den im schwindenden Eismeer zu erwartenden neuen offenen Schiffrouten, mit der leichteren Zugänglichkeit und damit Wirtschaftlichkeit beim Abbau von Bodenschätzen, mit ganzjährig abbaubaren Torfbeständen und frostfreien Erdölfeldern.Je kleiner die Lebensform desto weniger wird dabei über sie nachgedacht. Moos – genau wie Pilze, Flechten oder Bakterien – existiert in dieser Vorstellungswelt unterhalb des Radars. Sie alle sind kleine, aber zentrale Teile des Ökosystems borealer Landschaften, deren Bild – wie es sowohl die Soziologie als auch die Anthropologie lehren – ein kultureller Entwurf ist, der sich aber dennoch, oder gerade deshalb wirkmächtig in Mentalitäten einschreibt. Moos verweist im Rahmen des Ausstellungskonzepts daher nicht nur auf sich selbst, sondern steht für die Zukunft und die Vergangenheit, aber auch für Sensualismus und Idealismus. Moos steht für ‚imaginierten Norden‘, der von außen an die Region herangetragen wurde und tief im Selbstbild der Bewohner ganzer Nationen verankert ist. Die Ausstellung vereint Arbeiten von Künstler*innen, die sich vor dem Hintergrund der realen Entwicklung und mit dem Erbe eines gescheiterten romantischen Idealismus im Gepäck, explizit mit den Bildern und Realitäten des globalen Nordens auseinandersetzen. Sie alle teilen die Überzeugung, dass Kunst neben dem visuellen vor allem für das kritische Bewusstsein einer Gesellschaft Verantwortung trägt.Das finnische Duo IC-98 (Visa Suonpää und Patrik Söderlund) inszeniert in seinem Film Omnia mutantur (2018) in poetischen Bildern die Langsamkeit subpolarer Natur, indem sie an einer einzigen Stelle Versionen der gleichen Landschaft zu verschiedenen Zeiten zeigen– wie es vor den Menschen war und wie es aussehen wird, wenn wir schon lange nicht mehr da sind. Die Kollaboration mit kleinsten, nicht-menschlichen Organismen kennzeichnet die Bilder und Installationen von Alma Heikkilä, denen sich auch die Rasterelektronenmikroskopbilder aus den Serien 8 Heads High (2016) und Hybrid Matter (2018) von Andreas Greiner zuwenden. Julian Charriére & Julius von Bismarcks Fotografien dokumentieren eine Serie von Interventionen in die Natur 2012/13, die sich mit der disparaten Wahrnehmung der Natur zwischen Realität und Vorstellung und den daraus resultierenden Problemen auseinandersetzt. Ähnlich argumentiert Goshka Macugas Teppichbild Latent Image (2020) aus der Serie ihrer großen Wald-Bilder. Es reflektiert das historisch und ökonomisch bedingte, sich in vielschichtigen inneren Bildern manifestierende Verhältnis des Menschen zum Ökosystem Wald. Antti Majava wird im Rahmen der Ausstellung eine Lecture Performance über ökonomische Aspekte des Waldes als CO2-Speicher halten.
Mi - Fr 14-18
und auf Anfrage oder per Zufall
Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz
Linienstraße 40
10119 Berlin