…sondern vom äußersten Saum, und selbst von der Farbe der Dinge…

Konstanz | ArtRegion: Bodensee

Kunstverein Konstanz

Katharina Hinsberg: …sondern vom äußersten Saum, und selbst von der Farbe der Dinge…

28. Juli – 9. September 2018

Die Linie bestimmt die künstlerische Arbeit von Katharina Hinsberg (* 1967). Zu erwarten ist demnach ein zeichnerisches Werk, das Arbeiten mit Stiften auf Papier – dies ist allerdings nur der Beginn, die Linien, die Katharina Hinsberg mit rotem Farbstift, Tusche, Graphit oder Acrylfarbe zeichnet, belässt sie so nicht. Vielmehr bringt sie feine Cutter-Messer zum Einsatz und schneidet die gezeichneten Linien aus oder stellt sie frei, indem sie den Papiergrund entfernt. Die dabei entstehenden fragilen Gebilde werfen, als Wandarbeit montiert, Schatten, pendeln in leichter Bewegung und lassen so das Zweidimensionale einer Zeichnung hinter sich, greifen in den Raum.

In der Werkgruppe Diaspern, orientiert an einer altpersischen Webtechnik, arbeitet die Künstlerin mit zwei übereinanderliegenden Blättern: Graphitlinien, auf dem oberen Blatt zuvor gezeichnet, werden durch Schneiden getilgt aber zugleich durch den Schneideprozess auf das untere Papier übertragen. Dieser Wende von Positiv ins Negativ, der Lösung der Zeichnung vom Ursprung der zeichnenden Hand durch den Schneideprozess, der Reflexion des Flüchtigen und dem doch in anderer Form bewahrten Nachbild gilt das Interesse der Künstlerin.

Für den historischen Oberlichtsaal des Kunstvereins Konstanz richtet Katharina Hinsberg eine ortsspezifische Installation ein: in einer die Wand erobernden Arbeit ordnet die Künstlerin vielfarbige Streifen aus Seidenpapier zu einer Schindelstruktur, deren gleichmäßige Lineatur doppelt dynamisch wird: über die Schindelzeilen legen sich zeichnerische Linien. Die Papierstreifen selbst sind so fein am oberen Rand befestigt, dass jede Luftbewegung sie in Schwingung zu versetzen mag. Das Durchscheinen der Farbe der jeweils unteren Reihe, das farbige Aufscheinen der hochgewirbelten Schindeln fügt eine malerische Qualität bei, die die Ausgangseinordnung, es handle sich um räumlich-installative Zeichnung, unsicher werden lässt.

„… sondern vom äußersten Saum, und selbst von der Farbe der Dinge­­­­ …“ betitelt Katharina Hinsberg die Ausstellung und zitiert dabei aus Lukrez´ berühmtem Lehrgedicht de rerum natura, das im ersten vorchristlichen Jahrhundert entstand und bis in die zeitgenössische Philosophie fortwirkt. Der römische Dichter und Philosoph beschreibt die Natur der Dinge, u.a. die Möglichkeit ihrer Wahrnehmung und prägt den Begriff der Simulacren: die Oberflächen der Körper senden unablässig dünne Figuren von sich, „Häutchen“ vom äußersten Rand der Körper, Simulacren, die die Dinge als Ebenbilder, ihnen sehr ähnliche Abbilder sichtbar machen.

Katharina Hinsberg ist seit 2011 Professorin für Konzeptuelle Malerei an der Hochschule der Bildenden Künste Saar in Saarbrücken und vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem 1. Preis Kunst am Bau, Fraunhofer-Institut, Karlsruhe (realisiert 2017) oder dem Preis der Helmut-Kraft Stiftung (2014). Kinder- und Jugendjahre hat sie am Bodensee, in Konstanz verbracht. Für die junge Künstlerin ergab sich dann ein besonderer Bezug zum kulturellen Leben in Konstanz: 2001 wurde ihr der „Förderpreis der Stadt Konstanz – Junge Kunst!“ zuerkannt.

„Nulla dies sine linea“ ist der Titel einer dreidimensionalen Arbeit, für die Katharina Hinsberg seinerzeit u.a. geehrt wurde: über 900 einzelne Papierblätter sind zu einem Stapel geschichtet, jedes Blatt ist von einer feinen Linie durchzogen, deren Ende im Anschnitt der Blätter wiederum eine senkrecht den Papierstapel kennzeichnende Spur ergibt.

„Kein Tag ohne Linie“ – daran hat sich die Künstlerin im Grunde gehalten – wie vielgestaltig sie diese Spur bis in ihre gegenwärtigen Arbeiten verfolgt, macht die Ausstellung des Konstanzer Kunstvereins sichtbar.


Öffnungszeiten

Di-Fr 10-18
Sa, So 10-17

Kunstverein Konstanz
Wessenbergstrasse 39/41
78462 Konstanz