Was sagt uns Beuys heute?

Joseph Beuys, artagenda Beitragsbild, illustriert von Michelle Braendle 2021

Michelle Brändle | 12. Mai 2021

Was sagt uns Beuys heute?

Ein Beitrag zum 100. Geburtstag des Malers Joseph Beuys

Joseph Beuys
(12.5.1921 in Krefeld – 23.1.1986 in Düsseldorf)

Das Einzige, was bei Joseph Beuys nicht zu geteilter Meinung führt, ist die geteilte Meinung selbst. Sein Werk ist und bleibt umstritten: Die einen sehen in ihm den Visionär und Erweiterer des Kunstbegriffs, für andere stösst er lediglich auf Verwunderung. Sein Einfluss auf die Kunst ist dennoch bis heute spürbar. «100 Jahre Joseph Beuys» führt von allen Seiten der Kunstwelt zu einem Wiederaufrollen seiner Geschichte, seines Einflusses, seines gesamten Werkes. Dieser Beitrag fokussiert sich dabei aber auf die heutige Zeit. Es soll geklärt werden, wo seine Spuren immer noch anzutreffen sind und weshalb sich Beuys nicht so leicht in den Boden stampfen lässt.

Dass Beuys bis heute so umstritten ist, liegt wohl hauptsächlich in der Zwiespältigkeit seiner eigenen Persönlichkeit. Von Depressionen geplagt, tritt er trotzdem als Heiler auf. Er war stets auf der Suche und hat wichtige Kernpunkte dennoch gefunden. Stets spricht er treffend klare Aussagen, verpackt sie aber in so allgemeine Wahrheiten, dass sich über den wahren Kern des Inhaltes erneut streiten lässt. Ein weiterer Punkt für den grossen Einfluss ist auch sein vielseitiges Handeln. Er beteiligte sich stark an politischen Diskussionen, hat mit den «Grünen» eine Partei mitgegründet, an Talkshows teilgenommen und sich sogar als Popsänger versucht. Die Kunst war für ihn stets ein Kommunikationsmittel und Kommunikation eine Form der Kunst.

Die angesprochenen Themen in seiner Kunst sind mitunter ein Grund für seine anhaltende Aktualität: Der Wunsch nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, der Mensch im Verhältnis zu seiner natürlichen und sozialen Umwelt und die Verantwortung, die jeder einzelne für Natur und Gesellschaft trägt. Er machte zudem auf zahlreiche Umweltprobleme aufmerksam und wollte, dass diese gelöst werden. Und wenn er dafür 7000 Eichen pflanzen muss, um einen ersten Schritt zu tun.

Es kommt auch sein umstrittener Kunstbegriff zutage, bei dem jeder Mensch ein Künstler sei. Er meinte es aber genau in den oben genannten Zusammenhängen: Jeder Mensch soll das Leben, die Gesellschaft und die Welt selbst mitgestalten, alle sind dabei mitverantwortlich.

Diese Themen und Gedanken haben bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren und beschäftigen die Menschen deshalb immer noch, und so fliessen sie auch in viele Werke heutiger Künstler. Ein paar Beispiele aus der Schweiz zeigen Beuys Spuren:

Gesellschaftliche Themen aufgreifen und dabei die Gesellschaft gleich mitnehmen, das kennt beispielsweise San Keller aus Zürich. Bei seiner Aktion «San Keller demonstriert mit Ihrer Botschaft in New York» wird er zum Dienstleistungs-Künstler. Eine passend zu Beuys Materialität in der Kunst anknüpfende Aktion ist auch «San Keller und Schnittholz bauen für Sie ein Haus». Beide Aktionen stammen aus dem Jahr 1999.

Auch in Sachen Umwelt finden sich stets einige Künstler. Parallel zum Schlitten-Kunstwerk von Beuys greift auch Julian Charrière aus der Westschweiz zu einem Schlitten. Dieser ist mit aus Blei gegossenen Kokosnüssen beladen und versinkt damit halb im Boden, als breche der Schlitten unter dem Druck des Klimawandels zusammen. Weitere Werke machen auf das Schwinden der Natur aufmerksam: grossformatige Landschaftsfotografien mit weissen Flecken zeigen das Verschwinden der schönen Orte auf. Ein Alligator, dem das Maul zugeklebt wurde, regt ebenfalls zum Nachdenken in diese Richtung an.

Und nicht zuletzt erinnern die 300 im Klagenfurter Fussballstadion angepflanzten Bäume von Klaus Littmann aus Basel an die 7000 Eichen von Beuys an der documenta in Kassel. Zur Konzentration auf einen einzelnen Baum lädt eine aktuelle Intervention von Littmannauf dem Münsterplatz in Basel.

Und während Jospeh Beuys heutige Künstler inspiriert, hat er sich zeitlebens selbst Ideen und Werke anderer Künstler an- und abgeschaut. Seine Performances beispielsweise finden sich schon bei Nam June Paik und John Cage. Auch bei Yves Klein schaut er sich Inszenierungen ab und bereits Robert Morris hat mit Filzarbeiten und minimalistisch gearbeitet. Schimmlig verwesende Assemblagen findet man ebenfalls bei Diether Roth und Daniel Spoerri, und die Readymades sind von niemand geringerem als Marcel Duchamp inspiriert. Die Liste inspirierter und inspirierender Künstler vor Beuys ist wohl genau so lange, wie die danach.

Betrachtet man Beuys genau, war er, trotz magischer Rituale und Schamanismus, trotz übermässigem Engagement für die Gesellschaft und Kunstwelt, kein Übermensch. Im Gegenteil, verletzlich, verwirrt und auf der Suche –genau hier werden wir von Beuys heute noch inspiriert: Er hat die Kunst als Hilfsmittel für sich selbst verwendet und die Menschen dazu aufgefordert, sich durch die Kunst ebenfalls mit der Gesellschaft auseinander zu setzen und letztendlich zu sich selbst zu finden.

Der Mensch scheint damit stets Mittelpunkt von Beuys Kunst zu sein. Genau das macht ihn selbst so nah, menschlich, faszinierend und aktuell. Er machte sich damit zu einem Baustein für sein eigenes Projekt einer besseren Welt. Eine Welt, wie wir sie uns heute immer noch ersehnen. Die Kunst sind wir, mit warmen Sonnenstrahlen im Gesicht und dem Rauschen von Blättern in den Ohren.